Interessantes zum Insektenflug
(Quelle:
Artikel von Mark Benecke in der
FAZ vom 23. Juni 2002)
BiologInnen kann es niemals langweilig
werden. Glieder-Tiere, die Alleinherrscher der
Erde, führen ihnen an jeder Ecke Kunst-Stücke
vor, die selbst russische Zirkus-ArtistInnen
erblassen lassen. Als fantastischster Stunt gilt
das umgedrehte An-die-Zimmerdecke-Purzeln von
Stuben- und Schmeiß-Fliegen. Beachtlich ist auch
die Flug-Geschwindigkeit der winzigen Brummer.
Menschliche Fänger stehen deswegen sowie
angesichts der abrupt geschlagenen Flug-Haken
meist blöd da, wenn sie fliegende Kerbtiere
haschen wollen.
Obwohl ihre eindrucksvollen Flug-Leistungen
Insekten als „Kampf-Jets“ (Der Spiegel)
erscheinen lassen mögen, ist dieser Vergleich
für BiologInnen zu einschichtig. Das Fliegen ist
keineswegs eine für sich stehende
Höchst-Leistung, sondern fein mit dem Werden und
Leben der Kerb-Tiere versponnen. Die hohe
zeitliche Auflösung der scheinbar
minderwertigen, weil grob gerasterten
Insekten-Augen veranschaulicht die biologische
Einbettung: Weil die Tiere sich schnell durch
die Luft bewegen, müssen sie pro Sekunde mehr
Bilder aus ihrer Umgebung sehen und verarbeiten
können als die vergleichsweise schneckenlangsam
wandernden Menschen.
Eine ähnliche Funktions-Verschachtelung
findet sich bei den antreibenden Einheiten der
Insekten-Flügel. Die Flug-Muskeln sind nicht
bloß Kraft-Erzeuger, sondern liefern in kühlen
Zeiten auch Wärme. Dazu klinken beispielsweise
Hummeln und Bienen ihre Flügel aus und zittern
sich im Pulk gemütlich warm -- auf mindestens
zwölf Grad Celsius, die sie zum überleben
benötigen. Die Bio-Heizung ist natürlich
umweltfreundlich: Ein Bienen-Volk kommt mit gut
zehn Kilo Zucker über den Winter. übrig bleiben
nur Wasser, Kohlendioxid und knapp
fünfunddreißigtausend Kilokalorien Heizkraft.
An heißen Tagen kann der muskuläre Antrieb
allerdings lästig werden: Vorbeistreichende Luft
kann die im Flug entstehende Abfall-Wärme nicht
komplett abtransportieren. Deshalb würgen viele
Käfer, Schmetterlinge und Hautflügler etwas
Flüssigkeit aus und erzeugen damit
Verdunstungs-Kälte. (Menschen nutzen einen
kühlenden Trick vergleichbarer Art, wenn sie
sich ein alkoholisches Erfrischungs-Tüchlein
über die Stirn reiben.) Hummeln und andere
Vielflieger haben zudem ein raffiniertes
Umwälzsystem gegen flugmuskuläre Überhitzung
entwickelt. Heißes Blut wird dabei in den kühlen
Hinterleib gesaugt, wo die Wärme entweder wohlig
verbleibt oder an die Umgebung abgegeben wird.
Die Erforschung des Fliegens ist als letzte
zoologische Disziplin allseits beliebt, weil sie
eine enorm vielschichtige Sicht in die Welt des
Lebens bietet. Auf dem vergangenen
Welt-Insektenkundler-Kongress in Brasilien saßen
Jung und Alt staunend vereint vor hölzernen
Flügelchen und zogen wie einst im Kinderbett an
damit verbundenen Strippen. Der Grund für die
neu erwachte Neugier ist, dass schon ein rein
äußerlicher Leistungs-Vergleich fliegender
Insekten schwer Verstehbares ergibt. So schlägt
die Edel-Libelle Aeschna ihre Flügel zwanzig Mal
pro Sekunde auf und nieder und erreicht damit
sagenhafte dreißig Stundenkilometer
Geschwindigkeit. Eine Stuben-Fliege schafft noch
nicht einmal ein Drittel dieser speed, summt
aber mit mindestens zehnfach höherer
Schlag-Frequenz.
Der scheinbare Widerspruch entsteht nicht nur
durch vielfach abgewandelte Bauweisen der Flügel
unterschiedlicher Insekten-Familien. Auch
biologische Funktions-Teilung kann erklären,
woher die verschiedenen Leistungen kommen. So
sind Flügel sind nicht nur auf Leistung
getrimmt, sondern dienen auch der Verständigung.
Unter Pracht-Libellen gelten vor allem die
farbigen Felder der Flügel-Flächen als
eindrucksvolle und wirksame Signal-Geber. Bei
Groß-Libellen ist hingegen eine an der
Flügel-Spitze liegende Material-Verdickung
mehrfach funktional. Als Unwucht verhindert das
Pterostigma ungewolltes Flattern der hauchdünnen
Tragwerke. Zugleich markiert es aber auch
optisch das Flügel-Ende. Die wendige Libelle
kann so ihre eigene Spannweite direkt beobachten
und dadurch Karambolagen mit Art-Genossen,
Halmen und eng stehenden Hindernissen aus dem
Weg fliegen.
Der wichtigste Unterschied zwischen echten
Fliegen und Windkanal-Roboflies ist aber das
innere Antriebs-System. Wo die Maschinen-Flügel
stumpfe Auf- und Abbewegungen repetieren, steht
bei Insekten der fabulöse Klick-Trick. Als
knochenlose Lebewesen sind Kerbtiere von einer
Außenhülle stabilisiert. Es ist fast unmöglich,
in eine solche Flugzeug-Haut rasend schnell
bewegte, direkt angesteuerte Gelenke
einzulassen. Deswegen sind die eigentlichen
Flug-Muskeln teils nicht mit der Flügel-Basis,
sondern ganz anderen Teilen der Außenwand
verbunden (siehe Grafik). Die Flügel bewegen
sich bloß aufwärts, weil die indirekten Muskeln
den Brust-Raum der Tiere verformen (siehe
Grafik) -- rein passiv werden dabei die steif
eingelenkten Flügel mitbewegt. Das Flügel-Heben
ist damit ein Pendant zum knackenden
Blech-Frosch: Verbiegt Mensch seine harte Hülle,
so schnappt er klickend und blitzschnell in die
neue Position. Gesenkt werden die Flügel
allerdings nicht nur durch ein Zurückschnappen
der Körper-Hülle in die Ursprungs-Form, sondern
auch durch zusätzliche, nur dafür zuständige
Muskel-Stränge.
Damit allein lassen sich die aberwitzigen
Flug-Manöver der Insekten aber noch nicht
erklären. Zusätzlich zum reinen Kraft-Schlag
zerrt beispielsweise eine Stellwerks-Muskulatur
direkt an den Flügeln und verändert deren Winkel
zum Körper. Auch diese Fein-Abstimung können
menschliche Flugzeug-Bauer nur traurig
nachbilden, indem sie starre Klappen in die fest
verankerten Metall-Tragflächen einsetzen.
Bei Dipteren, den besten aller Luft-Akrobaten,
kommt als Höhepunkt der Flug-Entwicklung das
durch eine simple Mutation des Gens bithorax
zu Keulchen umgebildete, ehemals zweite
Flügel-Paar hinzu.Weil den zweiflügligen Tau-,
Schmeiß- und Stuben-Fliegen im Alltag oben und
unten oft egal ist, haben sei keine primär
brauchbare Schwerkraft-Reaktion. Die
Halteren-Keulchen helfen hier als direkt
nervlich verdrahtete Gyroskope und erlauben
Flugrichtungs-Anpassungen innerhalb von nur
dreißig Milli-Sekunden.
Wenn Sie im Sommer von fliegenden Sechsbeinern
besucht werden, denken Sie also bitte fortan
daran: Es ist die Gratis-Revue von Wunderwesen,
die nicht nur schön sind, sondern auch von
Menschen unerreicht.
Mit freundlicher Genehmigung von:
Dipl.-Biol. Dr. rer. medic.
Mark
Benecke
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